18.20 Uhr. Uih, langsam wirds knapp. Bis nach Stetten sind rund 10 Minuten Fahrzeit zu veranschlagen, ohne rote Ampeln wohlgemerkt. Kursbeginn ist 18.30 Uhr, los jetzt.
18.35 Uhr. Die „Oase“ in Stetten, hier soll der VHS-Kurs „Power Yoga“ stattfinden, erweist sich als eine Art Baracke – bevor ich den Smart an die Hauswand der Feuerwehr quetsche, laufen noch zwei Menschen mit Sporttaschen an mir vorbei in Richtung Eingang. Beeilung.
18.36 Uhr. Ich betrete die Oase, es riecht durchdringend nach irgendeiner Art von Räucherkerze. Ein Zusammenhang zum Power Yoga sehe ich im Augenblick nicht.
18.37 Uhr. Im Kursraum haben sich bereits rund 12 Menschen breit gemacht, ein männlicher Teilnehmer (wir werden später insgesamt drei sein), ruft mir zu: „Die Umkleide ist draußen links“. Der Räucherkerzengeruch scheint tatsächlich aus dem Kursraum zu stammen.
18.38 Uhr. Umkleide gefunden, Sporthose und Sweat-Shirt angezogen, aha, die Toilette ist auch gleich hier, wie geschickt. Jetzt wirds ernst.
18.39 Uhr. Kursleiterin Babett erklärt gerade ihren Weg zum Yoga, ich riskiere derweil einen Blick auf die umgebenden Matten. Eine Patientin ist auch dabei, Mist, aber eine sehr nette. Hab natürlich den Namen nicht parat, komme nur auf „Keramikinlays 45 und 46“. Gleich mal auf der Liste nach dem Namen schauen, für später. Während ich meinen Namen auf ein grünes Formular kritzle, stellt sich die Kursleiterin vor. Ich nehme Worte auf wie „Köln“, „drei Jahre Yoga Lehrerin“, „Stuttgart“ und „schöner Kursraum“. Schöner Kursraum? Na sowas! Jedenfalls definitiv eine Sympathieträgerin, Glück gehabt.
18.40 Uhr. Babett macht nicht lange Federlesen. „Macht es euch gemütlich und schließt die Augen, Hände falten“. Es folgen einige fernöstliche Weisheiten in Sinnspruchform, Babetts Stimme ist klar und fest.
18.42 Uhr. Im Augenblick kann ich noch nicht wissen, daß mich die folgenden 73 Minuten in einer Art und Weise beschäftigen werden, wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe. Oder vielleicht noch gar nie? Beschäftigt mit Zuhören, Schauen, Nachmachen, Einatmen/Ausatmen und bei der Nachbarin linsen, wenn Babett es gerade nicht vormacht, erlebe ich die unmittelbar äußerste Begrenzung meiner Aufnahmefähigkeit.
19.00 Uhr. Kirchenglocken läuten. Und jetzt noch eine ganze verdammte Stunde?
19.05 Uhr. Sweat-shirt und Socken fallen. Wann habe ich zum letzten Mal Sport im Unterhemd gemacht? Unbedingt nächstes Mal an ein nettes Shirt denken.
19.10 Uhr. Der Koordinationshorror bekommt Gesellschaft: ein intensives Hungergefühl erinnert mich an die letzte Mahlzeit gegen 13 Uhr beim Italiener (Reis mit gebratenem Lachs).
19.20 Uhr. Babett reist irgend eine Art Witz wie mir scheint. Jedenfalls ertönt beifälliges Geschmunzle, und vereinzelte Lacher. Es geht um ein Toastbrot und die gleichmäßige Bräunung desselben. Vielleicht eine Parallele zu unserer augenblicklichen Übung? Ein Zusammenhang zu meinen Anstrengungen sehe ich jedenfalls nicht. Allerdings bin ich mit dieser Arme und Beine-Verknoterei dermaßen beschäftigt, daß ich nur jedes dritte Wort verstehe. Jetzt intensive Transpiration.
19.30 Uhr. Leichte Muskelkrämpfe. Bin mittlerweile definitiv auf dem Hungerast angekommen.
19.40 Uhr. Schulterstand. Tatsächlich, mit der eingerollten Matte geht es besser. Wenn nur das starke Muskelzittern nicht wäre.
19.45 Uhr. Langsam nimmt Kursleiterin Babett das Tempo aus den Übungen raus. Ich glaube meine Nachbarin hört meinen Magen knurren.
19.50 Uhr. Diese Übung gerät zu einer höchst bescheidenen Darbietung meiner Beweglichkeit. Mußte das noch sein, so kurz vor Schluß?
19.55 Uhr. „Macht es euch gemütlich und schließt die Augen, faltet eure Hände“. In der Abschlußdämmerung gibt es noch etwas Harfenklang in Flüsterlautstärke und fernöstliche Mystik.
20.00 Uhr. Kirchenglocken läuten, Augen auf. Hosianna!
20.01 Uhr. Ab nach Hause, was futtern, dann direkt aufs Sofa. Und klarer Fall, dieses Endorphin-Festmahl werde ich mir auch am nächsten Mittwoch nicht entgehen lassen.